Komitee «Biel für alle» gegen Sparmassnahmen: Der Kulturkrisenstab ist wieder da

Bieler Tagblatt Artikel vom 29.09.2022 https://ajour.ch/story/komitee-biel-f%C3%BCr-alle-gegen-sparmassnahmen-der-kulturkrisenstab-ist-wieder-da-/30200

Das Komitee «Biel für alle» ist aus seinem sechsjährigen Dornröschenschlaf erwacht. Wie 2016 will es verhindern, dass im Kulturbereich gespart wird. Und Solidarität manifestieren.

Es ist kein Zufall, hat sich das Komitee «Biel für alle – Bienne pour tous» am Dienstagabend ausgerechnet in der Villa Ritter zusammengefunden, um sich gegen das drohende Sparpaket der Stadt, «Substance 2030», zu rüsten. Dem Jugendzentrum an der Bieler Juravorstadt drohen Subventionskürzungen, sollten die vom Gemeinderat vorgelegten Sanierungsmassnahmen durchkommen.

Dabei ist die Villa Ritter längst nicht die einzige Kulturinstitution, der Ähnliches droht. Gut zwei Dutzend direkt oder indirekt von den geplanten Sparmassnahmen betroffene Menschen sind zusammengekommen, um sich im Rahmen einer «öffentlichen Sitzung» auszutauschen, vor allem aber, um Geschlossenheit und Solidarität zu bekunden.

SP-Stadträtin Anna Tanner leitet das Komitee zusammen mit Grünen-Stadtrat Urs Scheuss und Cyrill Hofer von Pro Senectute. Sie sagt: «Das sind die Menschen, die Biel ausmachen und es zu einer kreativen, ökologischen und solidarischen Stadt machen.»

Von der Ludothek über den Gewerkschaftsbund und den Quartiertreff Möösli bis zum Centre Pasquart: Es ist ein bunter Haufen, der sich hier zusammengeschlossen hat, um das Komitee nach gut sechs Jahren wieder aus seinem Dornröschenschlaf aufzuwecken. Man erinnere sich: Schon im Herbst 2015 sah das städtische Budget massive Kürzungen im Kulturbereich vor. Unter anderem aufgrund des Widerstands von «Biel für alle» wurde es damals an der Urne abgelehnt; Biel startete mit einem Notbudget ins Jahr 2016 und brachte im Frühling schliesslich ein überarbeitetes, deutlich kulturfreundlicheres Budget beim Volk durch. «Biel für alle» feierte das Ergebnis damals als Sieg. Nun also ist das Komitee zurück, eine Art Krisenstab für die Bieler Kultur, den es nur dann braucht, wenn es brennt.

Kunstschaffende in Angriffslaune

Und dieser Krisenstab gibt sich betont kampfbereit. Der freischaffende Schauspieler Antoine Zivelonghi etwa, der aktuell mitten in der Gründung einer Vereinigung unabhängiger Künstlerinnen und Künstler steckt und sich direkt mit einer möglichen Subventionshalbierung konfrontiert sieht. Auf die Frage, welche Aktionen geplant seien, um der Bevölkerung den Widerstand gegen die Sparmassnahmen zu demonstrieren, antwortet er mit einer anständigen Portion Wut: «Ich finde es vollkommen deplatziert, hier nach Aktiönchen zu fragen.» Man sei nicht hier, um Feste zu feiern, man sei hier, um Menschen zu unterstützen, die ihren Job verlieren werden. Hässig schliesst Zivelonghi: «Ja, es wird Aktionen geben, und ihr werdet früh genug davon erfahren.»

In die gleiche Kerbe schlägt Johnny Rumpf von der «Freien Arbeiter*innen Union», einer basisdemokratischen Gewerkschaft: «Wir werden Lärm machen, und wir werden versuchen, die Politiker an der Macht zum Wanken zu bringen» – eine Aussage, die Ludotheken-Präsidentin Kathrin Rérat zum Einschub veranlasst: «Aber alles auf eine anständige und faire Art und Weise. Sonst bin ich nicht dabei.»

Man ist noch dran, sich zu finden in diesem ungleichen Kollektiv. Von einer geplanten Aktion sind immerhin schon Ort und Datum bekannt: Am 19. Oktober wird das Komitee auf dem Rosiusplatz Präsenz markieren. Auch das ist kein Zufall, denn genau dann wird sich das Stadtparlament über den Vorschlag des Gemeinderats beraten und schliesslich darüber entscheiden, welches Budget 2023 am 27. November vors Volk kommt. Es wird eine richtungsweisende Abstimmung, denn ein Nein würde wie schon 2016 dazu führen, dass Biel unter einem Notbudget ins Jahr 2023 starten müsste (siehe Infobox).

Kein Budget ist keine Lösung

Will man das etwa sogar forcieren und darauf pokern, dass das Volk in einer allfälligen zweiten Budgetabstimmung aus Angst vor einer Zwangsverwaltung einknickt? Für die knappe linke Mehrheit im Stadtrat dürfte es nämlich durchaus machbar sein, einen Budgetvorschlag zugunsten der Kulturschaffenden zu erstellen. An der öffentlichen Sitzung vom Dienstagabend entsteht der Eindruck, dass die Bieler Kulturschaffenden kaum zu Kompromissen bereit sind. Mit dem Bündnis, das sie mit «Biel für alle» geschlossen haben, verhindern sie, gegeneinander ausgespielt zu werden.

So ist auch verständlich, dass nicht nur direkt von den Kürzungen bedrohte Institutionen mit von der Partie sind, sondern auch solche, die in den aktuellen Plänen des Gemeinderats vom Sparhammer verschont werden. Das sind dieses Jahr insbesondere die grossen Institutionen wie etwa das Neue Museum Biel, dessen Direktorin, Bernadette Walter, vor Ort ist und sagt: «Wir kennen die Diskussionen und waren auch schon betroffen.» Damals, 2015 und 2016, war das Museum auch schon im Komitee «Biel für alle» vertreten. «Da gab es eine riesige Solidarität, die wollen wir jetzt weitertragen.»

Auf die Frage, ob man mit der Absicht, die Sparvorschläge des Gemeinderats abzuschmettern, bewusst ein Volks-Nein Ende November in Kauf nehme, winkt Stadtrat Urs Scheuss ab: «Kein Budget zu haben, ist sicher keine Lösung.» Dann nämlich dürfte die Stadt nur das Allernötigste ausgeben. «Das ist nicht lustig», wirft der Leiter der städtischen Reinigung, Martin Siegenthaler, ein. Er hat die Situation vor sechs Jahren schon erlebt. «Da musste ich jedes Mal, wenn ich einen Besen kaufte, eine Begründung schreiben, wieso ich den brauche.»

Auch Anna Tanner möchte kein Notbudget erzwingen. «Wenn wir im Stadtrat eine gute Position erarbeiten können, hinter der wir stehen können, werden wir alles geben, dass wir sie auch vor dem Volk durchbringen können.» Um das zu schaffen und gleichzeitig die städtischen Finanzen wieder einigermassen ins Lot zu bringen, wird man um Kompromisse nicht herumkommen. Wo, lässt das «Biel für alle» an diesem Dienstagabend in der Villa Ritter offen, auch wenn immer wieder leise das Wort «Unternehmenssteuern» fällt. Klar ist für das Komitee nur: Gespart werden soll nicht auf dem Rücken der Kulturschaffenden, des Sozialbereichs und der städtischen Angestellten.